Online-Manuskript (frei für Bildungszwecke):
http://www.lilawinkel.de/1-talks/2004-2008/2005-ffm-stele-bertram/rede-frankfurt-wrobel.htm

Grußwort zur Enthüllung der Gedenkstele am 5. September 2005 vor dem Haus Rohrbachstraße 58 durch die Stadt Frankfurt am Main für die in der NS-Zeit verfolgten Zeugen Jehovas

Sehr geehrte Vertreter der Stadt, liebe Glaubensgeschwister, sehr verehrte Damen und Herren! Im Namen der NS-Opfergruppe und der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland: Herzlichen Dank an die Stadt Frankfurt am Main, die heute der verfolgten Zeugen Jehovas unter der NS-Diktatur gedenkt! Und das mit dieser sehr beeindruckenden Bronzestele für den Bäcker Martin Bertram, der 1933 weiterhin Juden Brot verkaufte!

Insbesondere an Stadtrat Dr. Hans-Bernhard Nordhoff für die treffenden Worte zur Standhaftigkeit und zum mutigen Zeugnis der Zeugen Jehovas in dieser schweren Zeit, sowie an Herrn Dr. Michael Fleiter vom Institut für Stadtgeschichte, der das bedeutsame Ereignis so gut vorbereitet hat.

Unser Dank gilt auch dem Bildhauer und Kunstlehrer Clemens M. Strugalla. Er hat Martin Bertram und allen von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Zeugen Jehovas in dieser Stadt visuell eindrucksvoll ein Erinnerungszeichen gesetzt:

Zwei Hände – eine, die Brot gibt, und eine, die argumentiert – das Prinzip, das den Künstler faszinierte, so konnte man es in der Frankfurter Rundschau bereits lesen, nämlich: „Haltung bewahren“.

Die Zeugen Jehovas haben Haltung bewahrt, eine religiös motivierte Haltung, die gleichzeitig Stärken und Merkmale zeigt, die für Bürger von heute durchaus Vorbildfunktion haben können – für Menschen, für die die Worte „Zivilcourage“ und „Gewissen“ keine Fremdwörter sind.

Der Bäcker Martin Bertram hat Juden Brot verkauft – damals im Nationalsozialismus ein gefährlicher Akt gegen die sogenannte „Volksgemeinschaft“ – er folgte einfach seinem Gewissen!

Die Rohrbachstraße steht übrigens noch anders mit Brot in Verbindung: Im 15. Jahrhundert hat das Geschlecht der Rohrbachs, nunmehr reiche Großhändler, der Reichsstadt in Kriegszeiten Geld geliehen und die Bevölkerung erhielt aus ihren großen Kornspeichern Brotgetreide.

Danke an alle, die heute gekommen sind, besonders an unseren Zeitzeugen Josef Niklasch, der zusammen mit Dr. Nordhoff die Stele enthüllt hat. Günter Krämer hat stellvertretend für die Ortsgemeinde der Zeugen Jehovas in dieser Stadt dankenswerterweise einige der Verfolgten während der NS-Diktatur in Frankfurt am Main namentlich aufgezählt. Im Geiste ihrer Überzeugungen zitieren wir abzuschließend ein Text aus dem letzten Buch der Bibel, aus der „Offenbarung“, wo der auferstandene Christus seiner Gemeinde visionär zuruft:

Fürchte dich nicht vor den Dingen, die zu leiden du im Begriff bist. Siehe! Der Teufel wird fortfahren, einige von euch ins Gefängnis zu werfen, damit ihr völlig auf die Probe gestellt werdet, und ihr werdet zehn Tage lang Drangsal haben. Erweise dich als treu selbst bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben“ (Offenbarung 2:10).

Vielen Dank! Johannes S. Wrobel, Selters/Taunus*

* Gründer und Leiter des Geschichts­archivs (1996–2008) zur Verfolgung der Zeugen Jehovas (Bibel­forscher) unter den Diktaturen in Deutschland. Nach 2008 freier Autor und Heimat­forscher in Freilassing (Ober­bayern) bei Salzburg (Österreich), vgl. www.lilawinkel.de, Stand 2023.